Gerade stehe ich mit einer Freundin meiner Nachbarin in deren Garten und merke, wie mich eine Fliege sehr lästig umschwirrt und sich immer wieder an die unmöglichsten Stellen meiner erhitzten Haut setzt.

Es sind 35 °C im Schatten, die Sonne glüht, und wir unterhalten uns auf angenehme Weise über das Anbieten von Hilfeleistungen und ab wann diese zu viel oder übergriffig werden.

Unterstützen oder Retten? Die feine Linie

Natürlich haben wir uns nicht mit dem Wort „Übergriffigkeit” beschäftigt, sondern mit dem, was es in unserem Kontext gerade bedeutete. Wenn man dem anderen, dem man helfen möchte, Dinge abnimmt, die er selbst noch könnte.

Es ist oft schwierig, hier die Grenzen zu ziehen, ab wann Unterstützung mehr ist als eine helfende Geste.

Wann erreicht man den Punkt, an dem man den anderen hilflos erscheinen lässt oder entmündigt?

Hier sind viel Empathie und Taktgefühl gefragt. Auf die Zeichen des anderen zu achten oder erst dann zu agieren, wenn man wirklich um Hilfe gebeten wird, kann hier schon ein guter Ansatz sein.

Oder wie Mel Robbins es in ihrem Buch „Die Let-them Theorie“ beschreibt: die Balance zwischen Unterstützen und Retten zu finden.

Sie beschreibt eindrücklich, dass man Erwachsene erwachsen sein lassen muss, um ihnen wirklich zu helfen.

Retten bedeutet in ihren Worten, die Situation zu verschlimmern und den anderen vom Heilungsprozess abzuhalten bzw. ihn zu verlängern – sofern dieser überhaupt heilen möchte.

Und auch das darf man akzeptieren.

Selbstermächtigung statt Übernahme

Unterstützen bedeutet, sich zurückzuhalten und zuzulassen, dass sich der andere seinen Schwierigkeiten selbst stellen muss. Man ermächtigt ihn quasi wieder zur eigenen Handlung, dessen man ihn eventuell durch zu viele helfende Gesten beraubt hat.

Das heißt allerdings nicht, jemanden sehenden Auges in eine gefährliche Situation rennen zu lassen. Mel hat im Buch ein gutes Beispiel genannt: Man nimmt dem Betrunkenen den Autoschlüssel weg.

Ihn der Eigenermächtigung zu berauben bedeutet, dass ich mich einmische: wenn ich denke, die „richtige“, „gesunde“ oder „beste“ Verhaltensweise für das Problem zu haben, und den anderen davon überzeugen will, diese Sichtweise anzunehmen (was im Übrigen nicht klappen wird). Das wäre meine Wahl für diesen Menschen, und vielleicht würde ich mir das auch sehr für ihn wünschen. Aber es ist nicht seine Wahl.

Für Mel Robbins und auch für mich heißt es, den anderen Menschen einfach machen zu lassen. Ihnen Akzeptanz und Mitgefühl entgegenbringen und schauen, wie ich als Unterstützer eine Umgebung schaffen kann, die diesen Menschen hilft, sich wieder selbst zu helfen.

Zu dieser Erkenntnis sind wir Frauen in unserem Gespräch im Garten ganz ohne große Worte gelangt. Ohne zu drängen oder lange zu fragen, im angemessenen Rahmen unterstützen und den Raum geben, um Hilfe zu bitten, oder die eigene Akzeptanz zeigen, dass jede zusätzliche Aktion für den anderen gerade einfach zu viel ist.

Hilfe richtig einschätzen

Und damit bin ich wieder bei der „Fliege“ im Garten. Ich hatte genau diesen Buchabschnitt von Mel Robbins kurz vor dem Gespräch mit der Dame im Garten gelesen und konnte dessen Wahrheit in diesem einen Moment ganz deutlich wahrnehmen.

Als ich die „Fliege“ nämlich erfolgreich verjagt hatte, landete sie am Hals meiner Gesprächspartnerin. Als ich erkannte, dass es sich um eine Pferdebremse handelte, wollte ich sie „retten“.

Vermutlich habe ich den Stich provoziert, als ich die Pferdebremse verscheuchte.

Aus der „Rettung“ wurde ein „Ich habe es schlimmer gemacht“.

Vielleicht ist dieses Verscheuchen der Pferdebremse ein gutes Bild sich bei der nächsten Hilfsaktion zu fragen, ob ich gerade unterstütze oder retten möchte.

Manchmal ist das größte Geschenk, das wir jemandem machen können, wahrzunehmen, zu akzeptieren und den Raum zu geben, den er braucht.

Indem wir uns bewusst fragen: „Unterstütze ich oder will ich retten?“ können wir achtsamer handeln und echte Hilfe leisten, die den anderen stärkt, anstatt ihn zu entmündigen. Letztlich geht es darum, Mitgefühl zu zeigen, ohne die eigene Sichtweise aufzuzwingen. 

Denn manchmal ist das beste Eingreifen, einfach nur da zu sein – im richtigen Moment, auf die richtige Weise.

Wenn Sie Unterstützung benötigen, Ihre Empathie und Akzeptanz, auch sich selbst gegenüber zu stärken, dann kann ich Ihnen die Rational emotive Verhaltenstherapie (REVT) empfehlen. Sie deckt nicht nur die irrationalen Muster, die dahinter stecken auf, sondern unterstützt bei der Wiedergewinnung seiner eigenen Macht über die Gedanken und einer hilfreicheren und gesünderen Denkweise.